richterliches Prüfungsrecht

richterliches Prüfungsrecht
richterliches Prüfungsrecht,
 
das Recht (und die Pflicht) der Gerichte, die Gültigkeit einer von ihnen anzuwendenden Rechtsnorm zu prüfen. Das formelle richterliche Prüfungsrecht betrifft nur die Frage, ob ein Gesetz (eine Verordnung) in dem verfassungsmäßig (gesetzlich) vorgeschriebenen Verfahren und damit formell ordnungsmäßig erlassen worden ist. Das materielle richterliche Prüfungsrecht umfasst die weiter gehende Prüfung, ob das Gesetz inhaltlich mit der Verfassung, besonders mit den Grundrechten, übereinstimmt (bei Verordnungen ist außerdem zu prüfen, ob sie inhaltlich mit dem Gesetz, aufgrund dessen sie erlassen wurden, übereinstimmen). Während das formelle richterliche Prüfungsrecht seit jeher außer Zweifel steht, sind gegen das materielle richterliche Prüfungsrecht wegen des Gewaltenteilungsgrundsatzes Bedenken erhoben worden. In Deutschland steht den Gerichten ein unbeschränktes richterliches Prüfungsrecht nur bei Rechtsverordnungen sowie bei Gesetzen, die vor In-Kraft-Treten des GG erlassen wurden, zu. Bei nachkonstitutionellen Gesetzen ist das richterliche Prüfungsrecht zwar ebenfalls zu bejahen, ohne dass dem Gericht aber eine Verwerfungskompetenz zustünde; hält es ein solches Gesetz für verfassungswidrig, so hat es die Sache dem Bundesverfassungsgericht im Verfahren der konkreten Normenkontrolle zur insoweit dann bindenden Entscheidung vorzulegen.
 
In Österreich prüfen alle Gerichte und Verwaltungsbehörden die gehörige Kundmachung der von ihnen anzuwendenden Gesetze, Verordnungen und Staatsverträge (Art. 89 Bundesverfassungsgesetz). Jedes Gericht kann darüber hinaus beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Prüfung einer Verordnung stellen, gegen deren Gesetzmäßigkeit es Bedenken hat. Hinsichtlich der Überprüfung von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit kommt das Recht der Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof dem Verwaltungsgerichtshof, dem Obersten Gerichtshof und jedem zur Entscheidung in 2. Instanz zuständigen Gericht zu. Bis zur Aufhebung rechtswidriger Verordnungen und Gesetze durch den Verfassungsgerichtshof sind sie von jedem Gericht anzuwenden. - In der Schweiz sind Bundesgesetze, allgemein verbindliche Bundesbeschlüsse und Staatsverträge der materiellen richterlichen Prüfung entzogen (Art. 113 Absätze 3 und 114bis Absatz 3 Bundesverfassung); Verordnungen des Bundesrates werden grundsätzlich nur auf ihre Gesetzmäßigkeit hin geprüft; bei Widersprüchen zwischen Bundesgesetzen oder zwischen Verfassung und Bundesgesetzen beziehungsweise nichtüberprüfbaren Erlassen legt das Bundesgericht jedoch die fragliche Norm nach dem Grundsatz der Vermutung der Verfassungskonformität aus, wodurch eine Abschwächung dieses umstrittenen Grundsatzes erreicht wird. Die Verletzung verfassungsrechtlicher Normen kann hingegen beim Erlass und der Anwendung kantonaler Gesetze geltend gemacht werden.

Universal-Lexikon. 2012.

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